Ihr Lieben, erst im Mai versorgte uns Ian McEwan mit Maschinen wie ich mit neuem Lesestoff. Rund sechs Monate später gibt es seinen nächsten Meisterstreich, der auch bei mir einziehen musste. Ich mag Ian McEwan und seine Geschichten einfach. Die Kakerlake wird als Buch der Stunde beworben, da Ian McEwan den Brexit thematisiert. Doch Inspiration bietet nicht nur die aktuelle Situation in Großbritannien, sondern auch Kafkas Die Verwandlung. Viel Spaß mit meiner Buchbesprechung zu Die Kakerlake.
Worum geht’s in Die Kakerlake?
Jim Sams hat eine Verwandlung durchgemacht. In seinem früheren Leben wurde er entweder ignoriert oder gehasst, doch jetzt ist er auf einmal der mächtigste Mann Großbritanniens – und seine Mission ist es, den Willen des Volkes in die Tat umzusetzen. Er ist wild entschlossen, sich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen: weder von der Opposition noch von den Abweichlern in seiner eigenen Partei. Und noch nicht mal von den Regeln der parlamentarischen Demokratie. Ian McEwan verneigt sich vor Kafka, um eine Welt zu beschreiben, die Kopf steht.
Meinung
In Die Kakerlake findet sich eine Kakerlake eines Morgens im Körper des britischen Premierministers wieder. Relativ schnell bemerkt Jim Sams – beziehungsweise die Kakerlake –, dass er nicht das einzige Insekt im britischen Kabinett ist. Die meisten Abgeordneten waren einst Kakerlaken und haben nun zwei Ziele: die Abgeordneten, die tatsächlich Menschen sind, aus dem Kabinett zu bekommen und den sogenannten Reversalismus umzusetzen. Mit dem Reversalismus wird das System, so wie wir es kennen, umgedreht – alle, die arbeiten wollen, müssen dafür bezahlen und wer einkaufen möchte, wird dafür finanziert.
Es machte ihm nicht mal mehr was aus, dass sein Kopf so och über dem Boden schwebte. Und er war jetzt froh, vor diesem anderen Menschen keine Schmeißfliege gegessen zu haben. Wäre bestimmt nicht so gut angekommen
Ich muss zugeben, dass ich mit Die Kakerlake nicht so ganz warm wurde. Einerseits liest es sich großartig, denn Ian McEwan hat einen einmaligen Schreibstil und dieser ist in der Erzählung ungewöhnlich lustig. Andererseits konnte ich mich nicht richtig für die Handlung begeistern. Ich würde es gerne darauf schieben, dass es ein politisches Buch ist, aber das kann ich nicht, denn ich wusste ja vor der Lektüre, worauf ich mich einlasse und finde die Thematik prinzipiell sehr spannend.
Das Prinzip des Reversalismus klingt amüsant und interessant, sorgt aber für einige Schwierigkeiten. Andere Nationen wollen sich Großbritannien – wer hätte es gedacht? – nicht anschließen, sodass es bei grenzüberschreitenden Transaktionen zu Problemen kommt. Wie soll sich Reversalismus etablieren, wenn Großbritannien das einzige Land ist, das nach diesem Prinzip leben möchte? Zudem wird der Alleingang Großbritanniens von der Regierung genutzt, um Patriotismus im Volk zu wecken. Daraus entsteht eine Novelle, die sich aus vielen Sitzungen, Pressesprechungen und Monologen des Premiers zusammensetzt. Für mich hat hier einfach etwas gefehlt.
Ich schätze, mir war Die Kakerlake einfach zu einseitig. Auch als satirische Novelle mit nicht einmal 120 Seiten hätte für mich mehr Aufregendes passieren können. Ich glaube, ich fand es teilweise einfach sehr langweilig, was mein größtes Problem wohl am ehesten beschreibt.
Was mir am besten am Buch gefallen hat, waren die vielen Situationswitze und amüsanten Einzeiler wie:
»Tja, Benedict, wie schon Marx gesagt hat, überdauern Nationen so manch einen Bankrott.«
»Ist von Adam Smith.«
»Umso wahrer.«
Außerdem fand ich die allgemeine Darstellung von Politikern als Ungeziefer lustig. Hierbei greift Ian McEwan nicht nur auf britische Politiker zurück, sondern veräppelt auch ein wenig Donald Trump, wobei McEwan sogar auf Trumps Vorliebe zu twittern eingeht. Für mich haben die Witze den Rest aber nicht wettgemacht. Ich habe die meiste Zeit eher neutral verfolgt, was passiert und war froh, als ich mich mehr und mehr dem Ende des Romans näherte.
Eine satirische Novelle, die mit einigen Situationswitzen unterhält, mich aber die meiste Zeit über eher langweilte und nicht begeistern konnte.
Eckdaten: Ian McEwan – Die Kakerlake (übersetzt von Bernhard Robben) – Diogenes – 2019 – 112 Seiten – 19,00 €
– Herzlichen Dank an Diogenes für das Bereitstellen eines Leseexemplars. –
Comments
Zeilenwanderer – Wrap Up: Monatsrückblick auf den Januar 2020
[…] Die Kakerlake ist der neueste Roman von Ian McEwan und durfte ruckzuck bei mir einziehen, denn ich liebe die Geschichten des Schriftstellers. Leider konnte mich Die Kakerlake nicht so sehr packen wie die übrigen Werke von Ian McEwan. Es war mir zu eintönig und trist. Mir ist einfach zu […] Read More[…] Die Kakerlake ist der neueste Roman von Ian McEwan und durfte ruckzuck bei mir einziehen, denn ich liebe die Geschichten des Schriftstellers. Leider konnte mich Die Kakerlake nicht so sehr packen wie die übrigen Werke von Ian McEwan. Es war mir zu eintönig und trist. Mir ist einfach zu wenig passiert und die paar Wortwitze und Gags, die eingeschoben werden, haben daran leider nichts ändern können. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich habe gehört, dass der Autor die Geschichte in drei Wochen geschrieben hat. Dies würde meiner Meinung nach eine Erklärung dafür sein, dass Die Kakerlake nicht mit Werken wie Abbitte oder Maschinen wie ich mithalten kann. Hier geht’s zur Rezension. […] Read Less
Zeilentänzerin
Eine schöne Rezension. Cover und Inhalt sprechen mich an, ich verstehe aber deine Einwände, auch wenns schade ist, dass dich das Buch nicht gänzlich überzeugen konnte. Beim nächsten Mal wieder =) Zeilentänzerin
Janika
to Zeilentänzerin
Hallo :) Danke, danke. Ja, ich hoffe doch. Vielleicht nimmt sich Ian McEwan auch ein wenig mehr Zeit für das Schreiben seiner nächsten Geschichte. Ich habe gehört, dass er "Die Kakerlake" innerhalb kürzester Zeit runtergeschrieben hat. Das merkt man dem Buch irgendwie an :/ Alles Liebe. Janika