Nachts ist es leise in Teheran ist der Debutroman von Shida Bazyar und ein ganz besonderes Buch, das normalerweise eher nicht zu der Literatur gehört, die ich lese. Durch mein Studium wurde ich auf diese Lektüre aufmerksam und sie zählt tatsächlich zu den wenigen Büchern, die mich im Laufe des Studiums wahrhaftig begeistern konnten. Hier kannst Du meine Gedanken zu dieser ergreifenden Lektüre lesen.
Kurzbeschreibung
In Nachts ist es leise in Teheran geht es um die Geschichte einer iranischen Familie, bestehend aus dem Elternpaar Behsad und Nihad sowie ihren Kindern Laleh, Morad und Tara. Gezwungen durch die politischen Umstände in ihrer Heimat ist die Familie nach Deutschland geflohen. Der Roman befasst sich mit ihren Anstrengungen zu immigrieren und der Verortung der unterschiedlichen Identitäten zwischen den Kulturen des Irans und Deutschlands.
Meinung
Wow. Was für eine Lektüre! Besonders auffallend an diesem Roman ist zum einen der Schreibstil und zum anderen der gesamte Aufbau. Anders als die meisten Bücher ist Nachts ist es leise in Teheran nicht strikt in einzelne Kapitel aufgeteilt, sondern in vier große Kapitel in Form von Erzählperspektiven. Die Erzählperspektive wird alle zehn Jahre gewechselt, so dass jedes Mitglied der Familie die Möglichkeit bekommt einen Teil der Geschichte zu erzählen. Dabei übernehmen Behsad, Nihad, Laleh und Mo die größten Abschnitte des Buches. Durch diesen Aufbau werden in den beinahe 300 Seiten Fließtext vier Dekaden gedeckt, angefangen im Jahr 1979. So liegt mit jedem neuen Kapitel ein Zeitsprung von zehn Jahren sowie ein Sprung in der Erzählperspektive vor. Allein das macht dieses Buch schon besonders.
Charaktere & Perspektiven
Den Anfang der Geschichte macht Behsad. 1979 ist die Zeit der Revolution im Iran, nach der Vertreibung des Schahs und nachdem Khomeni an die Macht gelangte. Behsad schildert seine Zeit an der Seite der Kommunisten, seinem Kampf für eine neue Ordnung im Land und beschließt mit seiner Familie nach Deutschland zu fliehen. In Behsads Kapitel wird die Atmosphäre im Iran deutlich geschildert. Der Kampf von ihm und seinen Kameraden wirkt hoffnungslos und ist ergreifend.
Nihad setzt zehn Jahre später die Geschichte fort. Sie und ihre Familie sind in Deutschland angekommen, jedoch ist die Lage für sie dort auch nicht makellos. Nihad hat stark mit der deutschen Kultur zu kämpfen und hat Schuldgefühle, da sie den Iran und ihre restliche Familie zurückgelassen hat. Nihads Kapitel ist im Gegensatz zu Behsads nicht von den politischen Sorgen gekennzeichnet, sondern vielmehr von den kulturellen Ängsten und Heimweh nach dem Iran.
1999 berichtet Laleh. Ihr Kapitel ist besonders interessant, da es für sie, Nihad und Tara zurück in den Iran geht. Laleh fühlt sich in ihrer Heimat fremd, die sie zwar nur aus Kindheitserinnerungen kennt, sich aber dennoch stark mit ihren Traditionen verbunden fühlt. Doch auch in Deutschland hat sie Schwierigkeiten, da sie mit Vorurteilen in der Schule zu kämpfen hat und immer an ihre Herkunft erinnert wird. In ihrem Kapitel wird deutlich, wie stark jemand zwischen den Kulturen stehen kann und was es für kulturelle Unterschiede gibt. Lalehs Kapitel zeigt dem Leser eine Zerrissenheit und ein nicht vorhandenes Zugehörigkeitsgefühl.
Morad, genannt Mo, erzählt 2009 das letzte Kapitel des Buches. Er identifiziert sich als Deutscher und hat mit dem Iran eigentlich gar nichts mehr zu tun. Für ihn wurde die Fremde zur Heimat. Eines Tages erfährt er online von der grünen Revolution und sein Denken ändert sich. Er realisiert nun wofür seine Eltern damals gekämpft haben und beschäftigt sich selbst mehr mit dem Thema.
Jeder der vier Protagonisten im Buch hat einen unterschiedlichen Erzählstil und eine andere Meinung. Durch die verschiedenen Gefühle, den Ton der Charaktere und ihre individuellen Gedanken ist das Buch nicht nur vielschichtig, sondern wirkt authentisch und lebendig. Da die Geschichte aus der ersten Person Singular berichtet wird, fühlt man sich als Leser jeder Figur nah. Auch wenn sich die vier Kapitel mit anderen Themen auseinandersetzen, sprechen alle das Thema Heimat und Zugehörigkeit an.
Schreibstil & Satz
Eine weitere Besonderheit des Buches ist dass die direkte Rede nicht in Anführungszeichen gesetzt ist. Dieses Stilmittel hat beim anfänglichen Lesen für etwas Verwirrung gesorgt, da die direkte Rede schnell überlesen werden kann. Jedoch gewöhnt man sich rasch an den Schreibstil und ich empfand ihn nicht als störend. Stattdessen unterstreicht dieser Stil die generelle Stimmung des Buches.
Nachts ist es leise in Teheran ist verschachtelt poetisch verfasst und durch die wenigen Satzzeichen wirkt der Text beinahe sanft. Die Autorin schreibt in sehr langen Sätzen und sehr langen Absätzen, was mich teilweise an eine Art Tagebuch erinnert hat. Der Schreibstil lässt das Buch und seine Geschichte zusätzlich auf unterschwellige Art und Weise bedrückend, melancholisch wirken. Man weiß auf jeder Seite, dass irgendetwas nicht ganz in Ordnung ist.
Ein stimmungsgeladenes Buch, das den Geist der Zeit trifft und zum Nachdenken anregt. Leser bekommen Eindrücke von der iranische Kultur und Geschichte, was ich sehr interessant finde. Der Schreibstil ist einzigartig. Anders. Aber er gefällt mir sehr, auch wenn man ein wenig braucht um ins Lesen reinzukommen.
Eckdaten: Nachts ist es leise in Teheran von Shida Bazyar – Kiepenheuer&Witsch – 2016 – 288 Seiten – € 19,95 [D]